Diese Leseprobe: ohne Fotos bzw. Skizzen

Fotos: siehe Rubrik Fotos

Einleitung

Kammergut Laasen bei Gera, den 12. April 1945

Ich will heute den Versuch machen, in kurzen, wesentlichen Skizzen die hauptsächlichen Geschehnisse des Jahres 1945 festzuhalten. Es soll dieses als Ersatz für das von mir sonst geführte Tagebuch dienen. Auch in diesem Jahr hatte ich mit täglichen Eintragungen begonnen. Ließ jedoch das angefangene Buch zurück, da es bisher nur 27 Tage waren und ich den Platz für das Tagebuch für wichtigere Dinge brauchte. - Auf Grund der aufregenden Zeit und ihres ständigen Druckes, unter dem man immer lebt und auch aus daher entspringender Faulheit unterblieb bisher die Neuanlage eines Tagebuches.

Wie in den vergangenen Jahren hatte ich auch in diesem Jahr meine persönlichen Wünsche für das neue Jahr vorangestellt. Zwischen dem, was ich bei Jahresbeginn in Zoppot schrieb und dem, was ich heute schreiben werde, ergeben sich schon wieder gewisse Unterschiede.

Meine Hoffnungen für 1945

Für das neue Jahr erhoffe ich das Kriegsende und zwar je eher, desto besser. Seit langem ist es klar, dass mit unseren Mitteln der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Jeder Tag Krieg bringt also nur neue Opfer an Menschen, Zerstörung von Wohnungen, Verkehrsmitteln und Arbeitsplätzen und lässt die immer drohende, über uns hängende Angst um die Gegenwart und Zukunft nur noch mehr wachsen.

Menschen und Volksvermögen werden sinnlos vernichtet, ohne das für uns bestimmte Schicksal noch wenden zu können. Selbst wenn sich die Zukunft unseres Volkes nach dem verheerenden Krieg so grauenhaft gestalten sollte, wie es die Propaganda schildert, so bleiben doch etwa 80 Mio. Deutsche, für die es leichter ist, das schlimme Schicksal zu bestehen, wenn noch gewisse Möglichkeiten in ihrem Lebensraum bestehen, als wenn die sinnlosen und bis zum Äußersten getriebenen Zerstörungen des Krieges nur noch das Gras übrig lassen. Ob diese Gedankengänge allerdings unsere bis zur äußersten Brutalität bereite Regierung einsieht, erscheint nur mehr als zweifelhaft, denn für unsere derzeitige nationalsozialistische Führung handelt es sich ja nur noch darum, Zeit bis zu ihrer eigenen Vernichtung zu gewinnen.

Wenn die Zukunft auch schwer sein wird, so glaube ich doch nicht an die Zukunftsprophezeiungen unserer Propaganda, deren stärkster Trumpf die Verschickung und Versklavung ist.

Mit dem hoffentlich baldigen Kriegsende kommt hoffentlich für uns einmal der Augenblick der persönlichen Ruhe, wo das Gejagt- und Getrieben-Werden und diese dauernde, willenlose Abhängigkeit einmal ihr Ende haben!

Vor allen Dingen möchte ich einmal von der ständigen Angst befreit werden, von meiner Familie getrennt zu werden. Die einzigen Menschen, an denen ich wirklich mit ganzem Herzen hänge, sind Schnuckchen und der Hampelmann und meine Schwiegereltern. Sonst habe ich weiter nichts und mit äußeren Glücksgütern bin ich auch nicht gesegnet. Aber dafür ist der Gedanke einer Trennung von meiner Familie umso schrecklicher.

Vom neuen Jahr erbitte ich mir daher das Geschenk des Zusammenbleibens. Hoffentlich lässt sich dafür meine Lazarettbehandlung ausdehnen. Den Wunsch, wieder KV (Kriegsverwendungsfähig) zu werden und an die Front zu kommen, habe ich daher auch nicht. Nach meiner Ansicht ist es Dummheit, für eine sinnlose Sache leichtfertig sein Leben aufs Spiel zu setzen.

Viel lieber will ich mit all meinen Kräften für Schnuckchen und den Hampelmann eine Zukunft aufbauen. Mag sie so kümmerlich werden, wie sie will. Wenn man doch nur erst einmal so weit wäre, dass man damit wenigstens anfangen könnte.

Soldat und Offiziers-Laufbahn am Ende

Von meinem Beruf als Soldat und Offizier bin ich seelisch so weit entfernt, dass ich froh sein werde, den Rock ausziehen zu können. Die schrecklichen Geschehnisse des Krieges für die Menschen, die Umgestaltung des Offiziers-Korps und die in das Korps hineingetragene Parteipolitik haben in mir eine große Wandlung geschehen lassen.

Ich kann nicht Vollstrecker eines Systems sein, das ich mehr als verachte, dass ich wegen seiner Jagd nach dem Kriege, seiner unmenschlichen Grausamkeit und wegen der Zerstörung meines Vaterlandes hasse. Ich kann nicht Angehöriger eines eng begrenzten Standes sein, bei dem nicht mehr die Ehre und ein offenes, ehrliches Wort gelten, sondern bei dem durch Verlogenheit dem maßlosen Ehrgeiz alle Möglichkeiten offen stehen.

Außerdem gilt bei dem Offizier unserer Tage, der sich so gerne mit dem Wort Menschenführung brüstet, der Mensch und seine Seele nichts. Nur noch ein Seelen- und willenloses Objekt der verbrecherischen und uns völlig zerstörenden Kriegsführung ist die angebliche "Krone der Schöpfung".

Die von mir grundsätzlich angestrebte und durch den zu erwartenden Kriegsausgang zwangsweise bedingte Lösung von meinem bisherigen Beruf als Offizier bringt selbstverständlich wieder wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich, über die ich mir durchaus voll und ganz im Klaren bin. Es wird schwer sein, im Nachkriegsdeutschland für sich und seine Familie das nötige Geld zu verdienen.

Vom neuen Jahr wünsche ich mir daher, dass ich bei meiner Familie bleiben kann, um für sie zu sorgen und dass ich für uns eine neue Zukunft aufbauen und das nötige Geld verdienen kann. Welchem Beruf ich mich zuwenden werde, lässt sich heute noch nicht übersehen.

Neuer konkreter Berufswunsch

Gerne würde ich meinen alten Lieblingswunsch in die Tat umsetzen und Tierarzt werden. Doch das würde Zeit brauchen, die bei meinen 29 Jahren mehr als knapp ist und Geld benötigen, das ich nicht habe. Also wird dieser schöne Gedanke eben nur ein Wunsch bleiben. Hauptsache: wir bleiben zusammen und können endlich beginnen, in friedlichen Zeiten eine neue Zukunft aufzubauen - Schön wäre es, wenn wir in der Nähe meiner Schwiegereltern bleiben könnten.

 

  1. Fluchtgedanken- Planung

Danzig-Zoppot

1.- 6. Januar

 

Verletzung und Fliegeralarm

Neujahr verbrachten wir mit der Omi in aller Ruhe. Mein Schwiegervater war bei Steinbrück eingeladen. Mit Rücksicht auf Schnuckchens Gesundheit blieben wir anderen zu Hause.

Die für mich auf Grund der Rückenmark-Verletzung vorgesehene Untersuchung fand am 4.1. statt, durch Prof. Büttner und Stabsarzt Dr. Kemper. Der an sich auch vorgesehene Prof. Watermann war leider nicht anwesend. Prof. Büttner stellte an sich nichts fest. Es wurde für mich ein Stützmieder angeordnet. Außerdem soll Prof. Albrecht von der Med. Abt. in Danzig die Röntgenaufnahmen begutachten, ob sich Unregelmäßigkeiten im Verlauf meines Rückenmarks ergeben.

Der Geburtstag meiner Schwiegermutter (5.1.) wurde durch guten Kaffee und schönen Kuchen gewürdigt.

Beim Fliegeralarm (6.1.) ging Schnuckchen das erste Mal seit ihrer Erkrankung die Treppen zum Keller alleine runter und rauf. Meine Lazarettbehandlung ging in der vergangenen Woche in der alten Form weiter.